Ohne wenn und aber…

Ich mag das Wort „aber“ nicht und vermeide es, wenn es geht. Heute tue ich mir damit wieder einmal schwer. Worum geht es?

Schlagzeile: korrekt

Quelle: https://vorarlberg.orf.at/stories/3230627/

Das ist seit heute in der Nacht auf ORF Vorarlberg zu sehen. Und es stimmt – es gab nach dem September auch im Oktober wieder einen Rekordwert in Sachen Temperaturen. Ich habe – weil es dort durchgehende Daten seit 1874 gibt – Kremsmünster als Station herangezogen. Das Stift in Oberösterreich liegt zudem recht „zentral“ in Österreich.

Der Durchschnittswert aller Septembertage lag in Kremsmünster bei 18,98 °C und der für Oktober bei 13,63 °C. Das sind beides Rekordwerte, die vorher noch nie erreicht wurden.

Erster Absatz – teilweise eher fraglich

Lesen wir weiter, ist allerdings ein Satz zu lesen,d er mich doch überrascht hat, eben weil ich mich auch viel mit den Temperaturen beschäftigt habe die letzten Jahre. Schauen wir uns also einmal alle verfügbaren Daten aus Kremsmünster an:

Das sind die Monatsmittel (aus allen Tagesmitteln der jeweiligen Monate errechnet) seit 1874 in Kremsmünster. Zur besseren Sichtbarkeit habe ich alle Jahre mit zumindest einem Rekordwert farbig gemacht. Und wer die Farben zählt, kommt auf ACHT Jahre. Wenn es so wäre, wie im ORF-Artikel beschrieben, dann müssten neben den zwei Top-Werten von 2023 noch zehn andere Jahre da stehen, also insgesamt 11 Jahre.

Nicht einmal die Behauptung, dass es noch nie zwei aufeinanderfolgende Monate mit Höchstwerten in einem Jahr gab, würde stimmen: Denn der April und Mai 2018 und auch der Juli und August 1015 waren jeweils aufeinanderfolgende Monate mit den Rekordwerten von Messbeginn bis heute. Und das Jahr 2015 hatte sogar DREI Mal den höchsten Wert aller Aufzeichnungsjahre, weil auch der November damals der wärmste der Messgeschichte war. Und wenn es nicht im Dezember mit dem Jahr 1934 die große Ausnahme gegeben hätte mit einem Jahr vor dem Jahr 2007, dann wäre auch der Dezember 2015 der wärmste aller Jahre gewesen.

Das Jahr bis Oktober

Das laufende Jahr hat gute Chancen, auch Ende Dezember wiede rin die Schlagzeilen zu kommen. Denn wenn wir alle Monatsmittel von Jänner bis Oktober zusammenrechnen zu einem Wert, dann gibt es derzeit nur das Jahr 2018, das um 0,03°C wämer war. Nur diese beiden Jahre haben in den ersten zehn Monaten des Jahres einen Wert über 13°C erreicht. Danach folgen 2022, 2020, 2007 und dann erst 2015 – das ja mit drei Monatsrekorden den Top-Wert hält.

Jahres-Ø-Werte

Wie viel die letzten zwei Monate noch ausmachen können, sehen wir an dieser Grafik. Hier ist der Jahresschnitt aller zwölf Monate berechnet. Für 2023 habe ich dafür das Mittel der November- und Dezemberwerte der letzten 5 Jahre herangezogen. Das Jahr 2018 bleibt weiter ganz vorne, allerdings ist jetzt 2015 von Platz sechs auf Platz 3 vorgestoßen, weil es eben im November und Dezember zu den wärmsten zwei Jahren der Messgeschichte gehört. 2023 würde mit zwei den letzten fünf Jahren entsprechenden Monaten auf Platz zwei der Messgeschichte bleiben – der Abstand zu 2018 würde sich dabei allerdings etwas vergrößern auf 0,09°C.

Und Wien?

Und wie sieht es mit den Werten aus Wien aus? Von dort gibt es ja Temperaturmessungen bis 1775 zurück. Allerdings KEINE Temperaturmittelwerte, wie sie heute in Österreich berechnet werden. Denn die werden seit es Temperaturmaxima und -minima gibt, aus deren Durchschnitt berechnet (im Gegensatz zu anderen Ländern, wo diese zB aus den Mittelwerten der Zweistunden-Daten brechnet werden über den Tag).

Erstens: Auch in Wien waren September und Oktober Spitzenreiter in Sachen Monatsmittel. Aber sogar hier gab es ein zweites Jahr, das ebenfalls zwei Temperaturrekorde hält: Es war das Jahr 1834. Niemals in den Daten der ZAMG war es im Mai oder Juli wärmer in den 248 Jahren seit es Daten über die Temperaturen um 14 Uhr in Wien gibt. (woher es 257 Jahre an Aufzeichnungen gibt, wie es im Artikel erwähnt wird, ist mir nicht bekannt).

Auch wenn wir alle Jahres-Mittelwerte (errechnet aus den Monatsmitteln) aus den offiziellen Daten des Geohubs der ZAMG ansehen, ist 2023 nicht die Nummer eins bis Ende Oktober: Im jahr 1834 gab es eines Jahres-Durchschnittstemperatur von über 18 Grad – das sind 0,22°C mehr als es im Jahr 2023 der Fall ist. Ebenfalls sehr warm waren in den ersten zehn Monaten des Jahres 2018, 2022 und 1822.

Dazu noch eine Randbemerkung: Hätte ich nicht die Werte des Winters 1798 und 1799 aus den Daten gestrichen, dann wären diese beiden Jahre auch ganz weit vorne gewesen. Allerdings bezweifle ich, dass die in den Daten enthaltenen Werte um 15-17 Grad für die Monate November, Dezember, Jänner und Februar stimmen. Das liegt fast 10 Grad über dem langjährigen Mittel.

FAZIT

Ich mag mit niemandem darüber diskutieren, ob es derzeit wärmer ist als in den letzten Jahrzehnten rund um den Jahrtausendwechsel. Vor allem die allerletzten Jahre von 2015 bis heute stechen eindeutig hervor und wir haben beim langjährigen Durchschnitt immer ungefähr um zwei Grad höhere Werte als vor 40 Jahren.
Mir ist es gleichzeitig wichtig, dass alles korrekt dargestellt wird. Und die Behauptung, dass es zuvor in der 257-jährigen (das wäre ab 1766, ich kenne keine Daten, die vor 1775 dokumentiert wurden und offiziell abrufbar sind) Messgeschichte niemals ein Jahr gab mit zwei Rekordmonaten konnte ich nicht nachvollziehen.
Abgesehen davon ist mir keine Aufzeichnung bekannt, die die heute ermittelten Tagesmittelwerte (Schnitt von Temperaturmaximum und Temperaturminimum des Tages) von vor 1875 enthält.

In Kremsmünster, wo durch das Stift, in welchem die Temperaturen gemessen wurden, wohl relativ gleichbleibende Bedingungen herrschten, gibt es sogar zwei andere Jahre mit zwei oder sogar drei Monaten mit Rekordwerten innerhalb der dortigen Messgeschichte.

Wieder interessant sind die Werte aus Wien, die durchaus Jahre enthalten, die im 19. Jahrhundert Werte enthalten, die nahe an denen liegen, die wir derzeit haben. Es sind nicht so viele innerhalb kurzer Zeit wie derzeit, allerdings liegen auch die 20-Jahres-Mittelwerte nur etwa 1 Grad unter denen von heute und ungefähr 1 Grad über der „Referenzperiode“ rund um die 80er-Jahre, die derzeit oft als Vergleichsbasis herangezogen wird.

Wenn wir bei den Wiener Daten von 14 Uhr-Messungen einen 50-Jahres-Schnitt einzeichnen, dann liegen wir seit 2005 über dem Wert von 1830 und derzeit haben wir fast ein Grad höhere Durchschnittstemperaturen als vor 190 Jahren. Dass hierbei die Daten anfangs an der alten Uni in Wien ermittelt wurden, ist mir bewusst. Interessanterweise werden solche „in der Innenstadt ist es wärmer“-Argumentationen immer nur für diese historischen Daten angeführt und nicht für die Mess-Stationen, die in den letzten Jahren und Jahrzehnten in immer mehr verbauten Umgebungen stehen – oder auch auf offenen Flächen, wo aus früheren Mischkulturen mit Baumbestand oft große landwirtschaftlich intensiv genutzte Flächen entstanden sind.