Heute hat mir jemand folgenden Screenshot geschickt:
Ich habe mir daraufhin den Artikel auf ORF genauer angeschaut und komme nicht umhin, mich zu wundern… doch davor noch eine
Vorbemerkung
Ja, es wurde wärmer in den letzten Jahren und Jahrzehnten bei uns. Wer diese Tatsache leugnen will, der soll das gerne tun und Tat-Sachen-Verdreher spielen. Entscheidend ist für mich allerdings nicht die Tatsache, DASS es wärmer wird, sondern, wie das Ganze dargestellt wird und was dabei gesagt – oder auch nicht gesagt wird.
Eine Text-Analyse
„Der Oktober ist in Österreich heuer wärmer verlaufen als früher üblich: Er liegt um rund zwei Grad über dem Mittel der aktuellen Klimanormalperiode, also dem klimatologischen Zeitraum zwischen 1991 und 2020.“ (Quelle: https://orf.at/stories/3374341/)
Ich wundere mich das erste Mal: Nein, nicht darüber, dass es eine „Klimanormalperiode“ (wer erfindet solche Wörter?) gibt, sondern dass es eine „Normtemperatur“ der Jahre 1991 bis 2020 gibt für ganz Österreich. Das erinnert mich an die ewige Diskussion über die „Übersterblichkeit“. Wieso muss ich eine Übersterblichkeit, die eine Differenz zu einem von mir bestimmten „Normwert“ ausdrückt, verwenden, wenn ich doch ganz einfach sagen kann: Es starben bei den (Beispiel) 88-Jährigen in diesem Jahr X von 1.000 Menschen. Diese fixe Zahl, die jedes Jahr ganz einfach errechnet werden kann, kann jetzt mit jedem anderen Jahr verglichen werden.
Genauso kann ich sagen: Wenn ich die Maximaltemperatur heranziehe, dann liegt das Monatsmittel für 2024 (ohne den in den Daten noch fehlenden 31. Oktober) in Wien auf der Station der Hohen Warte bei 16,09°C. Das ist damit der 17.-höchste Wert seit Beginn der Maximaltemperaturaufzeichnungen in Wien, welcher im Jahr 1895 liegt. Von den letzten zehn Oktobern waren demnach in Wien 5 wärmer als 2024 und 4 kälter. Im Vergleich zur „Klimanormalperiode“ (1991 bis 2020) lag der Oktober 2024 an der Hohen Warte um 1,4 Grad über dem 30-Jahres Mittel.
Noch mehr wundere ich mich über eine Zahl, die ganz locker in den Einleitungsabsatz gestreut wurde: „die 250-jährige Messgeschichte“ Österreichs. Wer sich nämlich die Mühe macht, die Stationen, die bei der geosphere austria (vormals ZAMG) gelistet werden und die irgendwann einmal Daten geliefert haben, nach dem Beginn der Aufzeichnungen zu reihen, kann folgendes finden:
Wir sehen sofort: Nach diesen öffentlich zugänglichen Daten gibt es genau EINE Station, bei der bereits VOR 1874 Daten aufgezeichnet sind, die immer noch Daten liefert: Die Hohe Warte in Wien. Als nächstes folgen dann Kremsmünster, Salzburg, Rauris und Innsbruck – diese Stationen liefern allerdings nur Daten ab 1874 oder später – und das liegt nicht 250 Jahre, sondern 150 Jahre zurück. Und auch wenn wir wissen, dass in Kremsmünster gleich auch die Maximal- und Minimum-Temperaturen mit erfasst wurden, sind das nun doch keine 250, sondern „nur“ 150 Jahre an Messgeschichte. Nur mit Wiens Daten ließe sich zB bei den 14-Uhr-Temperaturen ermitteln, wie warm der Oktober gewesen ist im Vergleich mit (fast) 250 Jahren. Einen „Durchschnittswert“ in Sachen Tagestemperatur können wir daraus aber nicht auf dieselbe Art ermitteln, wie es heute geschieht (Mittelwert von Maximum und Minimum).
Und jetzt wundere ich mich bereits zum dritten Mal – denn ich habe 16 Stationen aus ganz Österreich bei „meinen“ Berichten immer wieder berücksichtigt. Von diesen 16 Stationen liegen die Abweichungen zum Maximumsmittel der 30 Jahre von 1991 bis 2020 wie folgt:
- Feldkirch: +1°C
- Bad Bleiberg: +1,4°C
- Bad Gleichenberg +2,6°C
- Bruck/Mur: +2°C
- Freistadt: +2,6°C
- Innsbruck: +2,6°C
- Kremsmünster: +1,7°C
- Lienz: +0,9°C
- Langen am Arlberg: +2,1°C
- Rauris: +2,4°C
- Reichenau/Rax: +1,9°C
- Salzburg: +2,2°C
- Sonnblick: +1,4°C
- Wien: +1,4°C
- Wörterberg: +1,1°C
- Zwettl: +2,0°C
Wenn ich jetzt ganz mathematisch einfach diese 16 Stationen zusammenrechne, komme ich auf einen Durchschnittswert von 1,8°C zu viel. Allerdings steht ja im Text ein kleines Wörtchen, das die wenigsten genau mit erfassen: „RUND“ 2 Grad wärmer… lassen wir das also stehen.
„Mit diesen Temperaturen und teilweise extremen Abweichungen vom Mittel – wie etwa im Februar – ist 2024 direkt auf dem Weg, das wärmste Jahr zu werden, das je in Österreich gemessen wurde. Um einen Monat zu finden, der unterdurchschnittlich, also zu kalt war, muss man bereits 18 Monate zurückschauen: Es war der Mai 2023.“ (Quelle: https://orf.at/stories/3374341/)
Jetzt wundere ich mich noch einmal mehr. Erstens, weil ich finde, dass 18 Monate in einer Zeit, in der wir wissen, dass es tendenziell deutlich wärmer wird, gar nicht so lange sind, finde ich. Und zweitens, weil ich mich noch gut an meine Analyse der Temperaturen der letzten zehn Jahre erinnern kann (siehe hier). Da gab es nämlich durchaus einen sehr kühlen September! Ich habe mir daher die Mühe gemacht, auch diesen mit der „Normalperiode“ zu vergleichen:
- Feldkirch: +0,5°C
- Bad Bleiberg: -2,6°C
- Bad Gleichenberg +2,9°C
- Bruck/Mur: +1,1°C
- Freistadt: +2,1°C
- Innsbruck: +0,3°C
- Kremsmünster: +1,9°C
- Lienz: -0,2°C
- Langen am Arlberg: -0,6°C
- Rauris: +0,7°C
- Reichenau/Rax: -2,9°C
- Salzburg: +0,6°C
- Sonnblick: -0,7°C
- Wien: +1,6°C
- Wörterberg: +1,9°C
- Zwettl: +1,4°C
Ich sehe, dass es „im Mittel“ dieser Stationen wohl für ein leichtes Plus reicht, allerdings gab es von den 16 von mir verwendeten Stationen auch 5, die den September als „unterdurchschnittlich“ in Bezug auf die 30 Jahre von 1991 bis 2020 zeigen – in Reichenau an der Rax sogar fast um 3 Grad zu kalt!
„Dass der Oktober wärmer als üblich ist, überrascht kaum noch in Zeiten des fortschreitenden Klimawandels. Bemerkenswert ist das insofern, als der Oktober mit Sonnenschein sehr sparsam umgegangen ist: Er steht nämlich als trübster seiner Art seit dem Jahr 2020 in den Klimabüchern und gehört damit zu den vier sonnenärmsten Oktobern im 21. Jahrhundert.“ (Quelle: https://orf.at/stories/3374341/)
Nun bin ich kein Metereologe oder „Experte“. Ich meine aber, dass die Tatsache, dass die Sonne in einem Monat wie dem Oktober weniger scheint als üblich, nicht unbedingt dazu führen muss, dass das Mittel der Temperaturen extrem nach unten abweicht. Weil ich mich erinnern kann, dass eine Wolken- oder auch Nebeldecke dazu führt, dass die Temperaturen in der Nacht weniger absinken als bei klarem Himmel. Und da die „Durchschnittstemperatur“ aus dem Mittel der Maxima und Minima errechnet werden, könnte das doch auch ausschlaggebend sein, oder? Ein kleines „Sich-Wundern“ darf daher auch hier übrig bleiben.
Weiter im Text:
„Oktober 2023 war noch wärmer
Wenn sich die gemessenen Temperaturen nicht mit den subjektiven Erfahrungen, in denen sich der heurige Oktober streckenweise gar nicht so warm anfühlte, decken, dann mag das am Vergleich mit dem letzten Jahr liegen: Die Abweichung im Oktober 2023 lag bei 3,5 Grad über dem langjährigen Mittel, also deutlich höher als heuer. Im Vorjahr war es der bisher wärmste Oktober in Österreich.“ (Quelle: https://orf.at/stories/3374341/)Eine Anmerkung sei mir gestattet: Nicht nur, dass der Oktober 2023 der wärmste war, finde ich erwähnenswert, sondern auch, dass der von 2022 der zweitwärmste war seit Messbeginn. Und davor gab es in den letzten zehn Jahren nur in den Jahren 17, 18 und 19 eher milde Temperaturen, sonst war der Oktober meistens eher auf der kühlen Seite. Daher ist es auch dem in meinen Aufzeichnungen nur in Innsbruck (8.), Rauris (9.) und Freistadt (10.) unter den Top 10 liegenden Oktoberwerten von 2024 leicht gefallen, „höhere Werte als in der Norm“ zu liefern. Denn auch von 1991 bis 2003 war der Oktober – verglichen mit anderen Monaten im Jahr – eher auf der kühlen Seite zu finden.
Noch mehr an Textanalyse schaffe ich heute zeitlich nicht – eine möchte ich jedoch noch aufzeigen:
Rarer Frost
„Frost war rar: Selbst auf dem Sonnblick auf mehr als 3.100 Meter Höhe blieb die Temperatur nur an acht Tagen unter null Grad. Früher wurden hier im Schnitt 18 solcher Eistage verzeichnet. Die Folgen für die Schneedecke sind deutlich: Die Schneehöhe ging im Laufe des Oktobers von 60 Zentimeter auf sieben Zentimeter zurück.“ (Quelle: https://orf.at/stories/3374341/)
In sieben Jahren gab es seit 1895 am Sonnblick keinen einzigen Oktobertag bis zum 30.10, an dem es über Null Grad warm wurde. Das letzte Mal war das allerdings schon 1974 der Fall. Der Oktober 1921 hingegen war wie der von 2024 einer, an dem das Maximum nur 8 Mal unter dem Gefrierpunkt blieb und sonst immer zumindest knapp darüber lag. Das Monatsmittel lag damals bei 0,7°C, im Jahr 2024 liegt es bei 0,4°C. Das nur zur besseren Einordnung der Temperaturen im Hochgebirge.
Fazit
Es wird wärmer – definitiv. Diese Tatsache braucht allerdings keine „Beschönigung“ durch die Erwähnung einer „Messgeschichte von 250 Jahren“, welche es kaum irgendwo in Österreich wirklich gab – schon gar nicht, was ein „österreichisches Mittel“ betrifft.
Vom „selten kühlen September“ gab es übrigens keine so detallierten Aufzeichnungen oder Texte. Der ist wohl in den Regenfluten untergegangen, die für so viel Zerstörung gesorgt haben.Ich wünsche mir generell mehr Sachlichkeit bei allen Themen – und eine Diskussionsbasis, die wieder zu mehr Respekt und „Miteinander Reden“ statt „Einander Überzeugen“ oder „Einander Abqualifizieren“ führt.
Zum Schluss gibt’s noch eine „heat-map“ aus den Durchschnittswerten für jede Kalenderwoche von „meinen 16 Stationen“ bei der geosphere Austria seit dem Jahr 2000. Diese ist in „Winterhalbjahr“ (blaue KW-Wochenzeilen) und „Sommer-Halbjahr“ (grüne KW) eingeteilt.