Die gefühlten Anekdoten und die Zahlen

Ein „Facebook-Freund“ schreibt mir heute:

Ich war gerade vier Tage (leider auch Nächte) in der Wiener Innenstadt. Das ist nicht zu glauben. Gefühlte 30 Grad um Mitternacht… Im Zimmer war es – trotz Verdunkelung am Tag – warm bzw. heiß. Aber das seit vielen Wochen… keine/kaum Abkühlung.

Ich wollte mir das anschauen – dazu ein paar Vorbermerkungen:
Der deutsche Wetterdienst definiert folgende Anforderungen für Mess-Stationen:

Das ist zugegebenermaßen in Innenstädten schwierig…

Das ist wohl noch schwieriger, denke ich. In Berlin gibt es eine Station des Deutschen Wetterdienstes, die sieht von oben (Google Maps) so aus:

Sie steht auf dem Flugfeld von Berlin Tempelhof:

Schauen wir uns nun zwei Messfelder in Wien an: Die Mess-Station Wien Innere Stadt steht auf einem Flachdach:

Das sind Fotos der ZAMG selbst zur Station (Quelle). Wir sehen, dass die nicht wirklich von Grün umgeben ist (wie auch, in der Innestadt Wiens), auch sind reflektierende Flächen und Hauswände relativ nah, und das Ganze ist nicht in Erdnähe sondern mindestens 5 bis 10 Meter über dem Straßenniveau.

Dieses Bild (aus Google Maps) zeigt die Station von unten gesehen, wir sehen das Kästchen, in dem die Temperaturmessanlage steht zwischen den blauen und der weißen Fahne.

Wenn wir das Ganze von oben betrachten (dank Google), dann ist gut erkennbar, dass die Station an einer Kreuzung steht, in der sowohl am Morgen von Osten als auch am Abend von Westen die Sonne auf das Flachdach scheinen kann. (Die Station steht ziemlich genau da, wo „IPG Mediabrands“ steht am Foto.)

Die Hohe Warte in Wien ist in etwa 7 Kilometer entfernt und liegt schon eher am Rand der Großstadt.

Die Station auf der Hohen Warte liegt in einem Garten:

Zwar gibt es westlich davon ein Gebäude (dort sitzt die Zentrale der geosphere austria), aber es sind keine großen Asphaltflächen daneben oder ander Gebäude, die Wärme abstrahlen können.

Wie sehen nun die Temperaturverläufe der beiden Stationen aus, die offiziell der ZAMG Daten liefern – und zwar die MINIMALTEMPERATUR seit Sommerbeginn 2024?

Oben sehen wir rot die Temperaturen von „Innere Stadt“ darunter blau die von „Hohe Warte“. Unten die grünen Säulen zeigen uns (Skala rechts) den Temperaturunterschied an: der liegt im Schnitt bei etwa 2°C!

Während also in der Inneren Stadt seit dem 21. Juni in 40 Nächten die Temperatur nie unter 20 Grad gesunken ist, waren es an der Hohen Warte 23 Mal. Die höchste Temperaur gab es an beiden Stationen am 30. Juni: 24,5 und 23,6 Grad. Beides weit entfernt von 30 Grad.

FAZIT

Österreich hat etwas, was der deutsche Wetterdienst nicht hat: Wetterstationen wie die Hohe Warte, die Daten seit 1775 liefern kann für bestimmte Messungen. Dafür haben die deutschen wohl höhere Standards als die Österreicher bei den Mess-Stationen. Ob diese eingehalten werden, weiß ich nicht. Dazu bräuchte es wohl flächendeckende Untersuchungen in beiden Ländern bei den Mess-Stationen.

Wir diskutieren hier bitte wieder nicht darüber, ob es wärmer wurde in den letzten Jahrzehnten. Es macht allerdings einen Unterschied, mit welcher Qualität ich Daten erhebe, weil wir in einer Zeit leben, in der Schlag-Zeilen schnell geschrieben und kopiert sind. Und ob es auf einem Flachdach 40 und mehr Nächte mit mindestens 20 Grad Minimaltemperatur hat oder an einer „vorbildlicheren Station“ 23, das macht einen Unterschied.
Dazu kann ich noch den Verlauf der letzten Tage von der Falchdach-Station in Wien liefern:

Ob nun jemand eine andere „gefühlte Temperatur“ wahrnimmt, das ist eine andere Sache. Vielleicht ist das in einem schlecht isolierten Gebäude, eventuell sogar nahe dem Dach des Gebäudes noch schlimmer? Fakt ist, dass es selbst an der Wiener-Flachdach-Station in der letzten Woche nur zwei Nächste gab, in denen es nie unter 20 Grad hatte. Allerdings war das nicht um Mitternacht – auch in Wien ist die Nacht wie bei uns am Land erst in den Morgenstunden wirklich kühler. Über 30 Grad hatte es den Flachdach-Daten nach aber nach 21 Uhr nie mehr.
Und „wochenlang“ war es zum Glück auch nicht so „heiß“ in der Nacht…