Gestern schrieb mir ein Co-Autor meines Buches, ob es nicht anhand des Sterbealters in Österreich zu Auffälligkeiten gekommen sei in den letzten Jahren. Das fand ich eine interessante Frage und ich habe mir die Daten ab dem Jahr 2000 angesehen.
Sterbealter in Österreich
So sieht eine Grafik aus, die das durchschnittliche Sterbealter in Österreich darstellt:
Die hellblaue Linie zeigt die einzelnen Wochenwerte, die dunkelblaue einen 4-Wochen-Schnitt, also fast einen Monatswert. Folgende Tatsachen fallen mir auf:
- Die Kurve steigt seit 2000 an – sprich das durchschnittliche Sterbealter steigt an.
- Es gibt immer wieder Ausreißer nach oben – diese sind alle rund um den Jahreswechsel – also in der Winterzeit zu finden.
- Unglücke wie der verheerende Brand bei der Geltscherbahn in Kaprun, als in einer Woche sehr viele junge Menschen verstarben, drücken den den Altersschnitt der Verstorbenen für einzelne Wochen deutlich nach unten.
- Nach oben – also mit stark erhöhtem Durchschnittsalter bei den Todesfällen – stechen vor allem die Grippewelle 2016/17 und eine hohe Sterblichkeit 2020/21 heraus, zu der Zeit, als es bei uns die zweite Coronawelle gab.
Ein Problem, das sich hier zeigt, sind die durch das steigende Alter der Bevölkerung steigenden Werte beim Durchschnittsalter. Der Großteil des „Sterbegeschehens“ spielt sich eben bei den ältesten Altersgruppen ab – wenn es mehr alte Menschen gibt, sterben dort auch deutlich mehr und das bewirkt ein Ansteigen des Durchschnittsalters. Das habe ich wie folgt korrigiert:
Diese Grafik zeigt uns das Durchschnittsalter mit Berücksichtung des steigenden Durchschnittsalters der Gesamtbevölkerung auf Basis der Zahlen seit 2000. Hier ist jeweils berücksichtigt, um wie viel sich der Altersdurchschnitt in Österreich verändert hat seit 2000 (jeweils auf Basis des Jahres-Mittels der Gesamtbevölkerung). Damit wird folgendes klarer:
- die drei höchsten Werte stammen vom Anfang des Jahrtausends (ich vermute eine starke Grippewelle Anfang 2000), von der starken Grippewelle zu Jahresbeginn 2017 und von der Covid-Welle 2020/21.
- Bei letzterer fällt jedoch auf, dass zwar der Anstieg noch im Jahr 2020 erfolgt, die Welle sich jedoch sehr weit ins erste Quartal des Jahres 2021 hinein zieht.
- Grundsätzlich liegt das altersbereinigte Sterbealter in Österreich (berechnet auf das Jahr 2000) immer bei etwa 75 bis 76 Jahren. Wir wissen von der ersten Grafik, dass der Wert derzeit irgendwo rund um 80 Jahre liegt, aber um eben die Überalterung der Bevölkerung herauszufiltern, habe ich mich für 2000 als „Standard“ entschieden.
Jetzt fehlt noch ein zweiter, wichtiger Parameter bei den Sterbezahlen: Wie viele Menschen sind den überhaupt verstorben? Hier habe ich gleich Zahlen verwendet, die berücksichtigen, wie viele Menschen in Österreich leben. Das heißt, es wird dargestellt, wie viele Menschen pro 100.000 EW versterben:
Was fällt hier auf?
- Der Mittelwert pro Woche (die violette Linie zeigt den 52-Wochen-Ø, also quasi den Jahresdurschnitt) liegt in Österreich von 2000 bis 2020 immer bei 17,5 bis 19,5 Todesfällen pro 100.000 EW. Mit dem Beginn der Coronazeit steigt er deutlich an und bleibt auch erhöht.
- Es gab immer wieder „Spitzen“ nach oben bei der Anzahl der Todesfälle, die höchsten davon habe ich beschriftet.
- Bis 2020 liegen diese Spitzen immer in den ersten 10 Wochen eines Kalenderjahres, also zwischen Jahresbeginn und Mitte März.
- Dabei fallen auch die Jahre auf, in denen es KEINE hohen Spitzen gab, wie etwa der Zeitraum von 2006 bis 2008, die Jahre 2010 und 2011 oder 2019 und 2020 (wenn es um die ersten Wochen des Jahres geht).
- Es gibt nur EINEN Winter seit 2000, in dem es ZWEIMAL Spitzen gab, die über 22 Todesfälle pro Woche und 100.000 EW gab: Im Winter 2021/2022 war das sowohl im Spätherbst als auch im Frühling der Fall.
- Ebenfalls auffallend: Es gab JEDES JAHR längere Perioden, in denen die Sterbezahlen unter 17 pro 100.000 EW und Woche lagen. In den Jahren 2021 und 2022 war das nur ganz vereinzelt der Fall, beim 4-Wochen-Schnitt ist das gar nicht mehr zu sehen (siehe Grafik unten):
Kombinationen
Interessant wird es, wenn wir diese Kurven nun zusammen darstellen:
Hier zeigt sich ganz eindeutig, dass immer dann, wenn viele Menschen sterben, das Sterbealter ansteigt. Allerdings gibt es am Ende der Kurve eine „Irritation“: Obwohl auch da viele Spitzen zu sehen sind, zeigen sich diese NICHT beim Sterbealter! Während davor in 20 Jahren immer, wenn mehr als 22 Menschen pro Woche und 100.000 EW verstarben, auch eine Reaktion der Kurve beim Sterbealter zu sehen ist, ist das ab 2021 nicht mehr der Fall. Das bedeutet, dass in dieser Zeit deutlich mehr jüngere Menschen gestorben sein müssen als davor in den Wochen, wenn das Sterbegeschehen hoch war.
Das ist genau die gleiche Grafik wie oben, nur ist nun das Mittel auf 13 Wochen, also ein Quartal eines Jahres, berechnet. Die Spitzen werden dadurch deutlich flacher. Auffällig finde ich hier wieder die Kurven nach 2020, weil es zwar bei der Zahl der Sterbefälle (lila und violett) Auffälligkeiten gibt, diese aber oben beim Durchschnittsalter weniger deutlich zu sehen sind als andere starke Wellen früher.
Halbjahreswerte
Das ist sogar bei dieser Kurve gut zu sehen, die ausnahmsweise noch einmal das „reale Sterbealter“ ohne Altersstandardisierung zeigt. Wenn wir den 26-Wochen-Schnitt heranziehen, werden die Wellen von Sommer und Winter deutlicher. Es gibt auch hier wieder Jahre, die mehr auffallen mit höheren Wellen und solche, wo es weniger stark nach oben und unten geht. Die letzten beiden Jahre scheint der Aufwärtstrend beim zunehmenden Alter eindeutig gebrochen zu sein…
Das zeigt sich auch dann, wenn ich die Altersentwicklung der Bevölkerung mit einberechne:
Was hier interessant ist, ist das gestiegene Alter der Verstorbenen von 2017 bis 2021. Danach liegen die Werte wieder ungefähr dort, wo sie vor 2017 lagen. Den tiefsten Halbjahres-Stand erreichen die Werte hier im Sommer 2009. den höchsten im Winter 2017.
So sehen die Sterbezahlen pro 100.000 EW aus. Hier stechen die letzten drei Jahre – mit Ausnahme des letzten halben Jahres – deutlich heraus. Während der niedrigste Wert aus dem Sommer 2009 mit dem durchschnittlichen Sterbealter zusammenpasst, sind die Sterbezahlen ab 2021 deutlich höher als jene von 2017. Und auch wenn der Wert für 2023 wieder niedriger ist als in den drei Jahren davor: Er liegt imme rnoch deutlich über dem anderer Sommer seit 2004!
Diese Grafik zeigt die Kombination aus Sterbealter (rot) und Todeszahlen (violett). Interessant ist, dass die beiden Kurven meist fast deckungsgleich sind, die Sterbezahlen-Kurve liegt so gut wie nie weit über der des Todesalters liegt – bis 2021. Darunter lag sie des öfteren – von 2016 bis Ende 2020 war sie sogar durchgehend darunter, teilweise auch sehr deutlich. Mit Ende 2020 jedoch steigen die Werte bei der Anzahl der Todesfälle STARK an, während das Alter – vor allem 2022 und 2023 deutlich tiefer liegt als in den Jahren seit 2017.
Jahreswerte
So sehen die Kurven aus, wenn wir den 52-Wochen-Schnitt heranziehen. Gut zu sehen ist, dass das Sterbealter 2017 sprunghaft angestiegen ist. Die Grippewelle damals war wohl für die älteste Bevölkerungsgruppe mindestens so gefährlich wie Covid drei Jahre später und der Beginn eines Anstiegs bei den Todeszahlen von älteren Menschen, auch wenn wir berücksichtigen, dass mehr davon in unserer Bevölkerung leben als je zuvor.
Die Todesfälle pro 100.000 EW jedoch stiegen mit Herbst 2020 extrem an und blieben – im 52-Wochen-Mittel bis heute sehr hoch. Wirkliche „Entspannung“ gab es in dieser Zeit keine, erst jetzt zuletzt zeigt sich ein rückläufiger Trend. Gleichzeitig kam es mit Mitte des Jahres 2021 zu einem starken Abfall beim Sterbealter, das ganz im Gegensatz zur Anzahl der Todesfälle steht und von mir davor in dieser Form nirgends so ausgemacht werden kann.
Sterbealter Covid
WICHTIG: Das durchschnittliche Sterbealter aller mit und an Covid Verstorbenen in Österreich lag bei 82,8 Jahren, das ist WEIT über dem Schnitt, der sich für den gesamten Zeitraum bei allen Todesfällen zeigt: Das liegt nämlich über 3 Jahre gesehen derzeit bei knapp unter 80 Jahren!
In der Schweiz und Deutschland lag das durchschnittliche Sterbealter bei Covid-Verstorbenen übrigens bei 84 Jahren.
Fazit
Es gibt zwei „Knackpunkte“ bei den Kurven, wenn es um das durchschnittliche Sterbealter und die Anzahl der Todesfälle geht: Einmal ist das 2017 – seit der Grippewelle damals lag das Sterbealter deutlich über dem der Jahre davor, und zwar auch in den Zeiten, in denen weniger Sterbegeschehen dokumentiert ist. Das kehrt sich ab Mitte 2020 ins Gegenteil und das Sterbealter ist deutlich niedriger als zuvor.
Der zweite Knackpunkt liegt Ende 2020, als die Zahlen der Verstorbenen pro 100.000 EW stark anstiegen und bis Mitte 2023 nie mehr auf „Normalniveau“ sanken. Erst zu dem Zeitpunkt, als die Pandemie in Österreich offiziell als beendet erklärt wurde, sanken die Zahlen wieder unter den Bereich, der davor als „Normalbereich“ definiert werden kann. Und auch wenn Ende 2020 der höchste Wert seit 2000 erreicht wurde, fällt doch der Winter danach mindestens gleich stark auf, weil dort erstmals seit dem Jahr 2000 in einem Winter ZWEIMAL ein sehr hohes Sterbegeschehen registriert worden ist.
Der sich in den letzten Wochen abzeichnende neue Anstieg der Todeszahlen, der in mehr oder weniger allen Jahren seit 2000 um diese Zeit zu sehen ist, kann noch nicht genau beurteilt werden, weil die Zahlen der Statistik Austria alle mit dem 12. November 2023 enden – der letzte Monat ist also noch nicht dokumentiert.
Auffallend finde ich persönlich, dass in den Jahren 2021 und 2022 bis in den Beginn des laufenden Jahres hinein einerseits das Sterbegeschehen recht hoch war und andererseits das Durchschnittsalter deutlich niedriger als in den Jahren zuvor lag. Mit den an oder mit Covid Verstorbenen kann das nicht erklärt werden, denn deren Durchschnittsalter lag deutlich ÜBER dem aller Verstorbenen insgesamt.