Heute gibt es in den Vorarlberg Nachrichten einen Artikel zu den Sterbefällen im ersten Halbjahr 2024 in Vorarlberg – geschrieben von dem Journalisten, der die letzten jahre sehr viel zu den Covid-Todeszahlen geschrieben hat und – Überraschung – auch dieselben Experten kommen zu Wort:
Es geht darum, dass es in Vorarlberg noch nie so viele Sterbefälle gab in den ersten 17 Kalenderwochen wie dieses Jahr.
#1 – warum jetzt?
Es gibt dabei mehrere Sachen, die mich stutzig machen – das erste ist die Frage des Zeitpunkts des Artikels. Die Daten der Statistik Austria zu den Sterbezahlen der ersten 17 Kalenderwochen sind nämlich bereits seit 25. Juli – also genau einem Monat – öffentlich zugänglich. Zudem werden in den nächsten Tagen die Zahlen aktualisiert und enthalten dann Daten bis zur KW 31 oder 32 – in etwa einen Monat mehr.
Weiter im Text: Wie richtig in der Überschrift steht, waren die Gesamtzahlen noch nie so hoch wie 2024 – in der „jüngeren Geschichte“ – dazu müssen wir wissen, dass die Datenerfassung der Sterbefälle nach Altersgruppen und/oder Kalenderwochen erst seit 2000 vorliegt. Und – ich habe die Daten natürlich selbst heruntergeladen und analysiert, es stimmt:
Es waren noch nie so viele in den ersten 27 Kalenderwochen, die genau genommen nicht dem ersten halben Jahr entsprechen, weil einerseits 27 Wochen mehr als die Hälfte sind und andererseits die KW 1 nicht immer am 1. Jänner beginnt. Am zweitmeisten waren es 2022 mit 1811 und am drittmeisten 2018 mit deutlich weniger, nämlich 1650.
#2 – warum nicht relativiert?
Groß ist meine Verwunderung, dass sich weder die befragten Experten noch die schreibende Person die Mühe gemacht hat, die Daten zu relativieren, also in Bezug zur Bevölkerungsgröße zu setzen. Denn die Bevölkerung in Vorarlberg wächst stetig, daher ist grundsätzlich auch mit mehr Todesfällen zu rechnen.
Schauen wir uns also die Zahlen an, wenn wir berücksichtigen, wie viele Menschen in Vorarlberg leben:
Interessant, oder? „024 ist plötzlich nicht mehr das Jahr mit den meisten Sterbefällen, das bleibt 2022 – das Jahr, von dem einer der befragten Extperten sagt, dass es damals im Winter eine massive Infektionswelle gab, die zu vielen schweren Erkrankungsverläufen, zu oft mit Todesfolge geführt habe. Auf Platz 3 ist weiterhin das Jahr 2018, jetzt aber deutlich näher bei 2022 und 2024.
#3 Keine Altersgruppen?
Die Daten der Statistik Austria sind in Altersgruppen á 5 Jahren zusammengefasst – es ist also nicht besonders aufwändig, diese genauer anzusehen um zu schauen, wo es denn im Vergleich zu anderen Jahren eher mehr Todesfälle gab. Dass die Summe dieser Einzelteile zusammen (also die Gesamtzahl) immer ein gänzlich anderes Bild liefert als die einzelnen Altersgruppen, sollte jedem „Experten“ bekannt sein – zudem zeigen sich hier vielleicht Trends oder Auffälligkeiten.
Schauen wir also hin, ob es Altersgruppen gab, die besonders auffallen in diesem Jahr bis zur KW 27:
Das sind die Altersgruppen bis zu den Menschen, die 59 Jahre alt sind – natürlich bereits pro 1.000 Personen relativiert. Ich habe die Daten des Jahres 2022 hellblau markiert und alle besonders auffälligen Gruppen des Jahres 2024 rot oder gelb-orange. Wir erkennen gleich: 2022 gab es in vielen Altersgruppen hohe Zahlen, allerdings nur selten extrem hohe Werte – am ehesten noch bei den 35-39-Jährigen, den 10-14-Jährigen und den 25-29-Jährigen. Für das laufende Jahr sieht das ganz anders aus, da sind die Werte meistens nicht auffällig – außer bei den 20-24-Jährigen und den 50-54-Jährigen. Erstere zeigen zwar erhöhte Zahlen, aber die sind niemals ein Grund für hohe Gesamtzahlen, da sich der Großteil des Sterbegeschehens bei den ältesten Altersgruppen abspielt.
Allerdings erscheint auch bei den Menschen ab 60 Jahren in keiner Altersgruppe ein Phänomen, das die hohen Zahlen erklären könnte. Die Zahlen liegen zwar oft ähnlich hoch wie die von 2022, aber nirgends wirklich viel höher…
Auch wenn ich es gesammelt darstelle, erkennen wir keinen wirklichen Grund für die hohen Zahlen in einzelnen Altersgruppen. Es ist also eher die Summe aller Zahlen zusammen. Interessant ist vielleicht auch noch, dass es 2020 – als im ersten Halbjahr in Österreich eigentlich kaum offizielle Todesfälle an und mit Covid in den Registern standen, mehr Menschen ab 95 verstarben in Vorarlberg als 2022 und 2024. Noch extremer war das bei den 55-59-Jährigen. Und bitte nicht vergessen: Wir sprechen hier nur vom ERSTEN Halbjahr, die Zahlen von 2020 und 2021 waren vor allem im Herbst ganz andere!
#3 Wieder weder Altersgruppen noch Relativierung?
„Ja, vor zwei Jahren, da hatten wir ganz eine starke Infektionswelle…“ worauf wieder nicht geachtet wird, sind die Zahlen der Kalenderwochen: Weder wird geschaut, dass die Zahlen relativiert werden, damit die bevölkerungsentwicklung inkludiert ist, noch ob es irgendwo Auffälligkeiten gab bei einzelnen Altersgruppen.
Schauen wir uns also ausgewählte Jahre an, die (siehe oben) eher erhöhtes Sterbegeschehen im ersten Halbjahr aufzuweisen hatten:
Die Sterbezahlen sind hier relativiert dargestellt und ohne den Teil des Jahres, der uns nicht interessiert. Was mir auffällt sind zum Teil sehr hohe „Spitzen“ bei manchen Jahren, wie 2017, 2003 oder auch 2015.
2022 und 2024 haben keine solchen Spitzen, dafür aber auch keine wirklichen Tiefststände wie andere Jahre.
Vergleichen wir das jetzt mit dem Temperaturen, dann fällt auf, dass VOR der Pandemie vor allem in Zeiten, die mit sehr kalten Tage und Wochen zusammentreffen, viele Menschen verstarben. Das war 2022 und 2024 wegen viel höherere Temperaturen im Winter nicht der Fall. In den Wochen 9 und 10 lagen die Temperaturen gerade einmal im langjährigen Schnitt und trotzdem kam es dort zu den Wochen mit den stärksten Sterbezahlen. Eher zu sehen ist 2024 noch das extrem kalte Ende des April bei den Todeszahlen.
Auch wenn wir die Grippe-Meldungen auf der Seite der WHO für Österreich heranziehen, gibt es keine Korrelation zu den Sterbefällen: Es gibt zwar gerade 2018 viele Meldungen, aber weniger als 2020 (ja, es gab damals seh wohl auch die Grippe in Österreich laut WHO-Daten!). Und 2022 war die Grippe scheinbar inexistent, dafür gab es 2023 einen extremen Peak.
FAZIT
Es ist schon seltsam in meinen Augen: Vier Wochen nach Erscheinen der Sterbezahlen bis KW 27 erscheint ein Artikel, in dem ungewöhnlich viele Sterbefälle im ersten Halbjahr 2024 in Vorarlberg thematisiert werden. Die Experten sind allesamt ratlos, glauben zum Teil an Zufälle.
Niemand kommt auf die Idee, die Zahlen zu relativieren – was dazu führt, dass die Zahlen von 2024 plötzlich knapp unter denen des Jahres 2022 liegen. Niemand scheint sich dafür zu interessieren, ob bestimmte Altersgruppen besonders betroffen waren- dabei zeigt sich jedoch keine große Auffälligkeit, außer in einzelnen Altersgruppen.
Was ich an der Grafik beim Artikel noch interessant finde: Da werden die Zahlen des einzelnen Jahres mit dem SCHNITT anderer Jahre verglichen. Jeder, der sich ein wenig mit Zahlen befasst, weiß, dass bei Mittelwerten immer die Spitzen und Tiefen entfernt werden. Eine Berechnung, die die Bevölkerungsentwicklung mit berücksichtigt, hat hingegen ganz andere Auswirkungen und relativiert Spitzen, die durch Bevölkerungszuwachs entstehen.
Was genau der Grund für die Übersterblichkeit ist, kann ich nicht sagen. Interessant werden wohl die Daten, die wir in etwa 5 Wochen sehen. Dann sind nämlich die sehr warmen Tage und Wochen aus dem Sommer mit dabei und wir werden erkennen können, ob es irgendwo zu einem Anstieg der Zahlen wegen der Hitze gekommen ist.
Eines noch: Einen Vergleich in Sachen „Übersterblichkeit“ spare ich mir hier, weil das je nachdem, welchen Zeitraum ich auswähle als „Referenz“, extrem gesteuert werden kann. Die relativierten nackten Zahlen sind mir da bei weitem lieber.