Heute steht im „Kurier“ folgendes Zitat zu lesen:
Trotzdem, so Thalhammer: „Wer sich nicht (gegen Covid-19, Anm.) impfen lässt, wird auf der Intensivstation enden und über die Pathologie nach Hause gehen. Das muss man, glaub‘ ich, klar aussprechen.“
https://kurier.at/wissen/gesundheit/infektiologe-wer-sich-nicht-impfen-laesst-wird-auf-intensivstation-enden/402118161
Ich habe dazu gerade die aktuellen Zahlen aus Österreich (Quelle BM für Gesundheit) abgerufen: Mindestens 2.342.479 in Österreich lebende Menschen müssen demnach noch nie eine Impfung erhalten haben. (Errechnet mit der Bevölkerung Stand 1. Juli 2022 laut Statistik Austria abzüglich all jener Personen, die laut BM für Gesundheit eine erste Impfung erhalten haben). Da seit Impfbeginn sicher schon einige Personen, die geimpft wurden verstorben sind (alleine bei der Altersgruppe über 85 versterben im Laufe eines Jahres etwa 10%!), muss diese Zahl eigentlich noch höher sein. Und wenn wir die im Kurier zitierte Aussage ernst nehmen, dann werden diese alle sterben.
Ich kann nur davon ausgehen, dass der Präsident der Österreichischen Gesellschaft für Infektionskrankheiten und Tropenmedizin Florian Thalhammer hier falsch zitiert worden ist. Andernfalls würde er (siehe Zitat oben) sagen, dass diese fast 26% der österreichischen Bevölkerung demnächst (zum Glück hat er keinen Zeitraum angegeben!) versterben werden, und zwar alle – nachdem sie vorher auf der Intensivstation gelegen haben. Vielleicht war die Aussage „über die Pathologie nach Hause gehen“ anders gemeint, wenn ja, erschließt sich mir der Sinn nicht.
Fakten
Die „Gesundheit Österreich“ (Bachner, Florian; Rainer, Lukas; Zuba, Martin: Intensivpflege und COVID – Factsheet. Gesundheit Österreich, Wien) gibt seit Pandemiebeginn immer wieder Berichte heraus, die die Situation in Österreichs Krankenhäusern in Sachen C19-PatientInnen darstellen soll aufgrund der EMS-Daten.
Ich persönlich finde ja die „Zeiträume“, die hier definiert wurden, schwierig in Sachen „Vergleiche“, kann das aber nur zur Kenntnis nehmen und so übernehmen. Der erste Block geht von 1. Februar 2020 bis Ende Februar 2021 – also über 13 Monate. Der zweite Block ist dann von 1. März 2021 bis 30. Juni 2021 – das sind 4 Monate. Dann folgt ein Block von 1. Juli 2021 bis 31.12. 2021, also 6 Monate. Der letzte Block ist dann von 1.1.2022 bis 31.5.2022 – teilweise reichen die Angaben auch nur bis Ende April 2022 , das sind vier oder fünf Monate.
Es handelt sich offensichtlich um die Zeiträume der vorherrschenden Varianten des Virus.
Dann ist allerdings diese Grafik von ourworldindata verwirrend, denn laut dieser war im Februar 2021 Beta die am stärksten vorherrschende Variante (davor war es „others“). Danach war es tatsächlich bis Juli 2021 Alpha. Ab Juli 2021 war es dann Delta und ab Jänner 2022 Omikron, wobei bereits Ende Jänner BA2 für ein Drittel der Fälle verantwortlich war und ab Juni 2022 (nicht mehr in den Daten der GÖ enthalten, siehe Grafik unten) wieder ganz andere Varianten vorherrschend waren…
Die ICU-PatientInnen
Hier sehen wir die Gesamtzahl der ICU-PatientInnen in den oben beschriebenen verschiedenen so durch die GÖ vordefinierten „Phasen“ der Pandemie. Was fällt auf?
- Der Großteil der positiv getesteten IntensivpatientInnen stammt aus den Altersgruppen ab 50 Jahren, am meisten sind zwischen 70 und 79 Jahren.
Schauen wir uns das Ganze etwas relativiert an und dividieren wir die Zahl der PatientInnen durch die Monate, sieht das Ganze etwas anders aus – hier muss jedoch mit berücksichtigt werden, dass die Zeiträume sehr unterschiedlich sind: Während beim ersten Zeitraum mehr als ein Jahr zusammengefasst ist, sind die anderen Zeiträume alle höchstens ein halbes Jahr lang – das heißt, es fehlt entweder der Herbst oder der Frühling:
Nun fallen einige Details auf:
- Bei den über 80 Jährigen ist plötzlich der Omikron-Zeitraum der mit den meisten Fällen.
- Bei den Menschen im Alter von 50-79 war demnach der Zeitraum von März bis Juni 2021 der mit den meisten Einweisungen, wobei der Omikron-Zeitraum vor allem bei den 70-79-Jährigen auch sehr viele C19-Intensivfälle aufweist.
- Auch bei den jüngsten drei Altersgruppen ist wie bei den ältesten der Omikron-Zeitraum der mit den höchsten Zahlen. Was hier NICHT berücksichtigt wird, ist jedoch die Tatsache (steht so im Bericht), dass der Anteil der PatientInnen mit Hauptdiagnose Covid auf der Intensivstation über den gesamten Zeitraum mit 65% angegeben wird, für die Omikron-Phase alleine mit nur mehr 37%. Da diese Daten nicht für den Zeitraum VOR Omikron verfügbar sind, können wir nur schätzen – es muss aber fast doppelt so viel gewesen sein vor Omikron.
- Ebenfalls im Bericht angeführt: Die durchschnittliche Verweildauer für positiv getestete PatientInnen auf der Intensivstation war vor Omikron zwischen 13 und 14,1 Tagen. Seit Jänner 2022 ist diese auf 8,1 Tage gesunken.
- Noch interessanter finde ich den angebenen Median – der beziffert den Zeitraum, bis zu dem 50% der PatientInnen im Spital liegen – die anderen 50% sind länger dort: Dieser war vor Omikron zwischen 7,25 (ursprünliche Variante) und 9,5 (Alpha-Variante) Tagen. Bei Omikron beträgt er nur mehr 3,25 Tage!
Intermezzo: Ein Fehler?
Beim Schreiben dieser Zeilen habe ich die unten angeführte Tabelle gefunden. Meiner Meinung nach zeigt diese etwas, was mathematisch unmöglich ist:
Wir wissen, dass ein Median ist:
Der Wert, der genau in der Mitte einer Datenverteilung liegt, nennt sich Median oder Zentralwert. Die eine Hälfte aller Individualdaten ist immer kleiner, die andere größer als der Median. Bei einer geraden Anzahl von Individualdaten ist der Median die Hälfte der Summe der beiden in der Mitte liegenden Werte.
https://de.statista.com/statistik/lexikon/definition/85/median/
Wenn also nun bei den 60-69-Jährigen Männern der Median bei 7,5 und bei den gleichaltrigen Frauen bei 7 liegt – wie kann er dann bei männlich und weiblich zusammen bei 10,5 liegen?
Dieser Fehler ist in dieser Tabelle auch bei den 20-29-Jährigen und den Menschen im Alter von 70-79 zu finden.
Zurück zu den Zahlen
Diese kompliziert aussehende Grafik zeigt uns die Daten der Tabelle mit den C19-Patientinnen von weiter oben noch einmal – dieses Mal als Punkte mit strichlierten Verbindungen. Die SÄULEN zeigen uns jetzt die auf der Intensivstation Verstorbenen PatientInnen in Prozent an. Bei den über 80-Jährigen lag die Sterberate in den ersten zwei Pandemiephasen bei fast 60%, während es bei den Menschen bis 40 nur einmal (bei den 20-29-Jährigen in der ersten Phase) ganz knapp mehr als 10% waren und sonst immer mindestens 9 von 10 PatientInnen die Intensivstation lebend verlassen konnten.
Wenn wir Zahlen nicht in Prozent sondern absolut ansehen und sie auf die Monate berechnen, verstarben in keiner Phase der Pandemie bis zum Alter von 50 Jahren mehr als 10 C19-PatientInnen pro Monat in Österreich auf der Intensivstation. Im Alter von 50-59 waren es zwischen 10 und 26, bei den 60-69-Jährigen zwischen 27 und 59. Die niedrigsten Werte stammen immer von der Omikron-Phase. Am meisten Todesfälle gab es bei den 70-79-Jährigen (zwischen 45 und 85) und den Menschen ab 80 (zwischen 35 und 61).
Auffallend ist jedoch, dass bei den über 80-Jährigen die Zahl bei der Omikron-Phase HÖHER ist als davor bei Alpha oder Delta! Und nur zur Erinnerung: Diese Daten reichen nur bis Mai 2022 – die „Sommerwelle“ ist hier nicht mit abgebildet – in der sind die Zahlen in Sachen offizielle C19-Todesfälle (AGES) teilweise stark angestiegen, vor allem bei den Ältesten!
Diese Grafik zeigt uns einen Überblick über den gesamten Pandemiezeitraum: Wir sehen (gesamte Säule) die IntensivpatientInnen pro Altersgruppe. Der graue Teil der Säule konnte die Intensivstation wieder lebend verlassen, der rote waren die Menschen, die leider dort verstorben sind. Die roten Quadrate zeigen uns den Anteil der Verstorbenen der jeweiligen Altersgruppe.
Wir sehen, dass hier – wie auch bei den Gesamtzahlen aller offiziellen C19-Todesfälle – der Anteil mit dem Alter ansteigt. Bei den Kindern unter 10 Jahren ist etwa 1% – also jedes 100. Kind verstorben. Bei den Menschen ab 80 Jahren waren es mit 51% mehr als die Hälfte. Was in dem Zusammenhang interessant wäre, ist ein Vergleich zu ALLEN IntensivpatientInnen in Österreich in den letzten Jahren: Wie viele ALLER IntensivpatientInnen der jeweiligen Altersgruppen versterben auf der Intensivstation? Leider sind mir keine solchen Daten bekannt.
Interessant ist auch noch diese Grafik. Sie zeigt, wie viele der insgesamt positiv Getesteten laut GÖ im Spital bzw. auf der Intensivstation landen.
- Demnach ist es bei den 10-19-Jährigen nur eine von 400 positiven Personen, die im Spital behandelt werden und nur eine von 5.000, die dann auf der Intensivstation liegt (dort liegen diese Personen – siehe oben im Schnitt keine 8 Tage und die Hälfte von allen weniger als 2,5 Tage!).
- Bei den Kindern unter 10 sind es etwas mehr (sogar mehr als bei den 20 bis 39-Jährigen!) die im Spital liegen, auch die durchschnittliche Verweildauer ist mit 9,5 Tagen länger – allerdings ist mehr als die Hälfte der Kinder bereits nach 1,5 Tagen wieder aus der Intensivstation entlassen! Das bedeutet, dass dort einige wenige Fälle EXTREM lange liegen müssen, damit der Unterschied zwischen Median und Durchschnittsdauer so groß werden kann. Und wer oben beid er „Fehler-Grafik“ schaut, erkennt, dass die bei Omikron ganz anders ist, weil hier die durchschnittliche Verweildauer auf 5,2 Tage absinkt – das ist nur ein Drittel im Vergleich zur Delta-Phase.
- Bis zur Altersgruppe der 50-59-Jährigen gibt es maximal 2% der Positiven, die im Spital behandelt werden, danach steigt diese Kurve stark an. Fast 2,5 Mal so viele sind es bei den 60-69-Jährigen – und auch von dieser Gruppe zu den 70-79-Jährigen steigert sich der Anteil um das 2,5-fache. So gesehen ist die Steigerung zu den Menschen ab 80 mit nicht ganz doppelt so vielen wieder geringer.
- Bei den Intensivstationen sind es
- 1 von 667 bei den 40-49-Jährigen
- 1 von 238 bei den 50-59-Jährigen
- 1 von 86 bei den 60-69-Jährigen und
- 1 von 40 bei den 70-79-Jährigen
- bei den Menschen ab 80 sinkt der Anteil wieder auf 1 von 48 ab.
Wenn wir das Ganze nun nur mit den Omikron-Monaten Jänner bis April 2022 (intessanterweise gibt es hier noch keine Daten für Mai) ansehen, sieht das ganz anders aus:
- Zwar bleibt es auch hier so, dass die unter 10 Jahre alten Kinder verhältnismäßig oft im Spital sind – sie werden hier öfter als PatientInnen angeführt als alle Altersgruppen von 10 bis 59 Jahren.
- Im Vergleich zur gesamten Pandemiedauer sind jedoch ALLE Werte niedriger. So gibt es bis zum Alter von 59 Jahren nirgends eine Gruppe, in der mehr als 1 von 167 Positiven in einem Spital lag.
- Bis zum Alter von 49 Jahren gibt es keine Altersgruppe, in der mehr als eine von 3.333 positiv getesteten Personen im Spital lag.
- Bei den Altergruppen ab 50 sind es
- 1 von 1.250 bei den 50-59-Jährigen
- 1 von 370 bei den 60-69-Jährigen
- 1 von 151 bei den 70-79-Jährigen
- 1 von 115 bei den 70-79-Jährigen – wer aufgepasst hat, bemerkt: dieses Mal sind die Ältesteten die Gruppe mit den „meisten“ IntensivpatientInnen!
Verstorbene GESAMT im Spital
Leider listet die GÖ die Zahlen der nicht auf der Intensivstation Vestorbenen unter den C19-SpitalspatientInnen nur „versteckt“ auf, weil die zusammen mit den Intensivstations-Fällen angeführt werden.
Von den fast 15.000 Personen, die offiziell bis Ende Mai 2022 als an oder mit Covid Verstorbene im Spital geführt wurden, waren 8.286 älter als 80 Jahre. Interessanterweise sind davon jedoch „nur“ 17% auf der Intensivstation verstorben – obwohl auch auf der Intensivstation ganz knapp die meisten C19-Todesfälle über 80 Jahre alt waren (226 im Vergleich zu 224 im Alter von 70-79 Jahren).
Bei den 10-19-Jährigen waren von den 8 Todesfällen hingegen 7 auf der Intensivstation zu beklagen.
Diese Unterschiede zeigen sich auch, wenn wir die Altersverteilung der an oder mit Covid Verstorbenen im Spital betrachten:
Während auf der Normalstation mehr als 7 von 10 Todesfällen über 80 Jahre alt waren, sind es auf der Intensivstation „nur“ knapp 3 von 10.
Von allen in der Normalstation als offizielle Covid-Todesfälle geführten Personen waren mehr als 90% älter als 75 Jahre, auf der Intensivstation sind knapp 88% älter als 60 Jahre geworden.
Auf der Normalstation sind weniger als 1,5% der C19-Todesfälle unter 50 Jahren, auf der Intensivstation sind es immerhin 4,7%.
Fazit
Worüber ich mich beim Schreiben dieses Textes geärgert habe? Natürlich über die Aussage des Artikels im Kurier – wobei dieser kein Einzelfall ist heute, ähnliche Texte sind auch anderswo zu lesen. Ebenso war es für mich jedoch auch ärgerlich, dass die GÖ die Zahlen wieder nur in bestimmten Intervallen und vor allem auch noch mit anderen Altersgruppen als die anderen, offiziellen Zahlen (etwa die Todesfälle der Statistik Austria oder die Covid-Zahlen der AGES) herausgibt. Dadurch wird – natürlich GANZ unabsichtlich (oder doch nicht?) – ein Datenabgleich verhindert…
Und dass solche offensichtlichen Fehler wie der oben dargestellte nicht entdeckt werden, wenn jemand von den Verantwortlichen so etwas korrekturliest, lässt auch wieder Schlüsse über das Datenmanagement zu… und nein, ich habe niemanden zu erreichen versucht von den im Dokument angegeführten Verantwortlichen. Warum? Weil ich schon vor Monaten einmal eine schriftliche Anfrage formuliert habe mit Fragen zu den Daten – und nie eine Antwort erhalten habe.