Vorbemerkung
Heute habe ich einen Artikel gelesen in einer Tageszeitung aus Vorarlberg. Die Überschrift lautete „Wieder mehr Sterbefälle“ und der Untertitel „Auch im vergangenen Jahr führte Corona zu einer Übersterblichkeit im Land“
Im Text selbst geht es dann auch noch um die relativierte Sterblichkeit – also wie viele Menschen pro 1.000 EW versterben denn im Laufe eines Jahres? Dort steht dann „Längerfristig sind die jährlichen Sterbefälle auch abhängig von der Bevölkerungsentwicklung. Pro 1000 Einwohner hatte es in der Vergangenheit meist weniger als acht, zum Teil sogar weniger als sieben Fälle gegeben im Land. 2020 handelte es sich um 8,5, im vergangenen Jahr um 8,3.“
Das klingt also so, als ob es „durch Corona“ zu einer vermehrten Sterblichkeit kam, oder? Ich will es wie immer genauer wissen und schaue mir das an.
Die Datenquellen, die ich für diese Zahlen verwendet habe, sind alle von der Statistik Austria.
Österreich
Schauen wir uns zuerst Österreich an und die Bundesländer. Wie viele Menschen pro 1.000 EW sind denn verstorben in den Jahren seit 2000? Die Daten sind in dem Fall pro 1.000 EW gerechnet und damit miteinander vergleichbar.
Es fällt sofort auf: Es gibt eine starke Schwankungsbreite bei den Zahlen: Vorarlberg – in allen Jahren das Bundesland mit den wenigsten Todesfällen hat zwischen 6,85 und 8,45 Verstorbene pro 1.000 aufzuweisen, im Burgenland (seit 2002 bis auf 2020 immer ganz oben zu finden) sind es zwischen 10,16 und 12,12 – das sind DEUTLICH mehr! Kann das an der Alterspyramide liegen?
Hier die Altersverteilung von Vorarlberg und Burgenland im Vergleich zueinander (Schnitt der letzten 5 Jahre): Vorarlberg hat seit kurzem mehr als 400.000 Einwohner, im Burgenland leben nicht ganz 300.000. Was fällt auf?
- Obwohl im Burgenland rund ein Viertel weniger Menschen leben als in Vorarlberg, gibt es dort MEHR Frauen über 84 Jahren und in etwa gleich viele Menschen über 75.
- Umgekehrt hat Vorarlberg mehr als 40% mehr Kleinkinder.
- Der errechnete Altersdurchschnitt in Vorarlberg beträgt 41,5 Jahre, im Burgenland liegt er bei 45,4 Jahren – das sind fast 4 Jahre mehr! Dadurch lässt sich viel erklären – weil eben mehr Menschen in älteren Altersgruppen versterben!
Hier noch ein vergleich der prozentuellen Verteilung der Bevölkerung auf die Altersgruppen: Während im Burgenland 11% der Bevölkerung mindestens 75 Jahre alt ist, sind das in Vorarlberg nur 8%. Mindestens 55 Jahre alt sind im Burgenland 38% aller Menschen, in Vorarlberg nur 30%.
Zurück zu Österreich: Das sind die seit dem Jahr 2000 verstorbenen Menschen pro 1.000 EW. Bis auf eine Ausnahme (2015) lag diese Zahlen mehr oder weniger immer zwischen 9 und 9,5 Menschen, um dann zu Pandemiezeiten auf 10 und mehr zu steigen.
Doch von welchen Altersgruppen stammt dieser Anstieg nun? Dazu habe ich mir diese gesondert und sogar nach Geschlecht getrennt angesehen:
Die Kleinkinder
Wenig überraschend gab es bei den Kleinkindern keinen erkennbaren Anstieg. Im Gegenteil – die Zahl der Todesfälle in dieser Gruppe sinkt seit dem Jahr 2000 mehr oder weniger durchgehend. So starben letztes Jahr weniger als 0,6 Kinder unter 5 Jahren – 2001 waren es bei den Knaben 1,2, also mehr als doppelt so viele!
Die PflichtschülerInnen
Auch bei den Kindern im Alter von 5 bis 14 Jahren sieht das ähnlich aus. 2021 waren es bei beiden Geschlechtern ca. 0,08 pro 1.000, die verstarben. 2004 waren es mit 0,18 bei den Mädchen deutlich mehr als doppelt so viele. Was bei dieser Kurve noch auffällt, ist, dass es mehr oder weniger die einzige ist, wo die Mädchen oft vor ihren männlichen Alterskollegen liegen.
Menschen im Alter von 15-24 Jahren
Bei den jungen Frauen und Männern im Alter von 15 bis 24 Jahren sterben zwar deutlich mehr als bei den PflichtschülerInnen, aber immer noch um einiges weniger als bei den Kleinkindern, wo Verstorbene rund um die Geburt die Zahlen deutlich höher erscheinen lassen. Bei den SchülerInnen der Sekundarstufen und allen anderen im Alter von 15 bis 24 gibt es auch seit der Jahrtausendwende einen Trend zum Rückgang der Zahlen. Allerdings steigen bei BEIDEN Geschlechtern die Zahlen seit 2018 wieder leicht an – in der männlichen Gruppe zuletzt von 2020 auf 2021 sogar deutlich – wenn auch nicht so stark wie etwa von 2000 auf 20001.
Menschen im Alter von 25-34 Jahren
Ein ähnliches Bild zeigt sich bei den jungen Frauen und Männern im Alter von 25 bis 34 Jahren: Bei den Männern gab es bis 2013 einen Rückgang, dann blieben die Zahlen etwa gleich bis 2020. Erst 2021 steigen sie wieder an, jedoch weniger als etwa 2004 oder gar 2001. Bei den Frauen sinken sie bis 2015 und steigen seither mit Ausnahme von 2019 leicht an. Die 5 offiziellen C19-Todesfälle 2020 und die 25 im Jahr 2021 können diese leichten Anstiege nicht erklären, wir sprechen hier von ca. 120 Todesfällen mehr pro Jahr seit 2019.
Menschen im Alter von 35-44 Jahren
Bis auf die Tatsache, dass es nun statt unter 1 Todesfall pro 1.000 in etwa 1 bis 1,5 waren in den letzten Jahren, sehen die Kurven auch bei den Frauen und Männern im Alter von 35 bis 44 Jahren sehr ähnlich aus: Ein Anstieg von 0,1 Fällen pro 1.000 EW kann jedoch die Gesamt-Zunahme von etwa 0,8 bis 1 Fällen pro 1.000 bei den Todesfällen auch nicht erklären.
Menschen im Alter von 45-54 Jahren
Wieder steigt die Zahl der Todesfälle insgesamt an, der Trend ist jedoch fast der gleich: Bis auf 2001 und 2009 bei den Männern und 2007 und 2017 bei den Frauen sinkt die Kurve durchgehend ab, stagniert seit 2017 und stieg in den letzten zwei Jahren bei den Männern und im Jahr 2021 bei den Frauen leicht an.
Menschen im Alter von 55-64 Jahren
Gleiches Bild bei den Menschen von 55 bis 64 Jahren. Ein Anstieg von 0,2 bis 0,3 pro 1.000 EW in den letzten beiden Jahren liegt immer noch weit unter dem der Gesamtzahlen.
Menschen im Alter von 65-74 Jahren
Bei den Menschen von 65 bis 74 Jahren gab es zuerst einen Rückgang bis etwa 2007/2008 – danach gab es nur wenig Bewegung – auffallend ist beim Anstieg der letzten zwei Jahre, dass es bei den Männern 2020 einen sehr markanten Anstieg gab, dem 2021 sogar ein Rückgang zum Vorjahr folgte, bei den Frauen war es 2020 und 2021 im Rahmen anderer früherer Jahre.
Menschen im Alter von 75-84 Jahren
Nun kommen wir zu der Gruppe, in der sich etwa ein Drittel aller Corona-Todesfälle ereignete. Wären das also alles Menschen gewesen, die sonst noch leben würden, dann müssen wir hier viel erkennen können.
Nun ist es tatsächlich so, dass es in etwa 3 Todesfälle pro 1.000 EW MEHR gibt als in den Jahren vor der Pandemie bei den Frauen – bei den Männern sind es sogar 5-6 mehr. Im Vergleich zu den Jahren vor 2015 sind es jedoch auch nach diesem Anstieg immer noch weniger – bei beiden Geschlechtern.
Menschen ab 85 Jahren
Wer bis hierher mit gelesen hat muss es schon ahnen – nun MUSS die Ursache kommen für den Anstieg der Zahlen. Auch wenn es vorher auch schon Altersgruppen gab, in denen es mehr Verstorbene gab seit 2020 als in den Jahren davor – noch waren es – bis auf die Menschen im Alter von 75-84 Jahren nirgends mehr als kleine Anstiege und die meisten liegen weit unter den Zahlen, die durch Corona erklärbar wären. Wie sieht es bei den mindestens 85 Jahre alten Menschen aus?
Hier gibt es einige Auffälligkeiten:
- Nach einem durchgehenden Rückgang der Zahlen von 2005 bis 2014 (also 10 Jahre lang!) steigen die Zahlen seit damals wieder an.
- Seit 2017 sterben mehr FRAUEN als Männer pro 1.000 EW in dieser Altersgruppe – da es hier um relative Zahlen geht, kann dies nicht alleine dadurch erklärt werden, dass viel mehr Frauen in diesem hohen Alter leben als Männer – es muss wohl auch mit dem höheren Alter derselben zu tun haben.
- Wer nun aber einen extremen Anstieg erwartet hat bei der Kurve, wird enttäuscht. Bei den Frauen etwa war der Anstieg von 2014 auf 2015 gleich hoch wie der von 2019 auf 2020. Und im Jahr 2021 gab es bei beiden wieder ein Absinken der Kurve. Und wenn wir zurück gehen zum Artikel, der mich zu dieser Betrachtung gebracht hat steht dort auch eine mögliche Erklärung für Anstiege UND Rückgänge: „Auf Jahre mit vielen Sterbefällen folgen immer wieder Jahre mit weniger Fällen.“ Und umgekehrt natürlich auch.
Vorarlberg
Weil es im Artikel um Vorarlberger Zahlen geht hier noch ein Blick auf das „Ländle“: Das sind alle Altersgruppen in einer Darstellung zusammengefasst:
Auch hier zeigt sich: Der Anstieg bei den ältesten MitbürgerInnen begann bereits ab 2014. Nach fast „nur mehr“ 150 Todesfällen pro 1.000 Menschen bei den Frauen und 175 im Jahr 2016 bei den Männern stieg der Wert seither wieder auf exakt gleiche 206 Fälle im Jahr 2021. In Vorarlberg bedeutet das bei fast genau 400.000 EW, dass etwa 800 Menschen aus dieser Altersgruppe sterben pro Jahr – offizielle Corona-Verstorbene gab es im Zeitraum von zwei Jahren 120 Frauen und 92 Männer. Das sind 42,4% aller an und mit C19 Verstorbenen.
Interessant ist bei Vorarlberg, dass die Zahl der Menschen, die pro 1.000 EW versterben, seit 2000 im Steigen begriffen ist – wenn auch nicht so stark wie von 2019 auf 2020.
Hier noch alle Altersgruppen – ohne lange Beschreibungen meinerseits dazu.
FAZIT
Es gab mehr Todesfälle als in den Jahren vor der Pandemie in Österreich. Sowohl in absoluten Zahlen (solange unsere Bevölkerungszahl steigt und der Altersdurchschnitt ebenfalls ist es logisch, dass es mehr Todesfälle gibt), als auch bei den in Relation zur Bevölkerung gesetzten Zahlen.
Dass es aber nicht „wegen Corona“ alleine so viele Fälle mehr gab, zeigt ein Blick auf die Altersgruppen – dieser zeigt auch wieder das, was ich in den letzten Wochen schon öfter aufgezeigt habe: Es sind vor allem Menschen über 75, die „mehr“ verstorben sind als in den sehr „milden“ (im Sinne von Krankheitswellen oder Hitzewellen) Jahren vor der Pandemie.
Was ich seltsam finde? Dass niemand nachfragt oder nachforscht, was sonst noch alles zu mehr Verstorbenen geführt hat. Ich denke, dass da vor allem auch Folgen der Maßnahmen genauestens untersucht werden sollten – auch in meiner Familie weiß ich von Fällen zB bei älteren Menschen, die mangels sozialem Kontakt „nicht mehr wollten“.