Vorbemerkung
Ich verurteile jede Form von Gewalt, vor allem, wenn Menschen von anderen Gewalt angetan wird, egal ob die Tat zum Tod führt oder nicht. Mir ist ein respektvoller Umgang untereinander sehr wichtig und ich weiß, dass ich selbst hier auch noch jeden Tag dazulernen kann und muss.
Der „Auslöser“
Heute gab es eine Aussendung des Landes Vorarlberg zum Thema Gewalt an Frauen. Darin steht einleitend:
„Die „16 Tage gegen Gewalt an Frauen“, die jährlich zwischen dem Internationalen Tag gegen Gewalt an Frauen (25. November) und dem Internationalen Tag der Menschenrechte (10. Dezember) stattfinden, haben zum Ziel, das Bewusstsein für Gewalt an Frauen zu schärfen und Hilfsangebote in den Mittelpunkt zu rücken.“
Später folgt der Teil des Textes, den ich zum Anlass genommen habe, um mir die Zahlen anzuschauen:
„Im vergangenen Jahr 2023 wurden laut polizeilicher Kriminalstatistik so viele wie Frauen noch nie, nämlich 42 – häufig von ihren (Ex-)Partnern oder Familienmitgliedern – ermordet. Zum Vergleich: 2014 wurde 19 Frauen das Leben genommen. Es kam also in diesem Zeitraum zu mehr als einer Verdoppelung der Frauenmorde in Österreich.“
Die Zahlen zu Mord und Selbstmord
Blicken wir zuerst einmal auf die Gesamtzahlen zu Morden und Selbstmorden in Österreich. Die Quelle dafür sind Daten der Statistik Austria. Hier sind alle Fälle erfasst, die Menschen betreffen, die in Österreich ihren Wohnsitz haben – andere Daten stehen mir nicht zur Verfügung:
Im Jahr 1970, das ist der Beginn der verfügbaren Daten, gab es in Österreich 1.789 Selbstmorde und 111 Morde. Höchststand bei den Suiziden war im Jahr 1986, als es 2.139 waren. Am meisten Morde gab es im Jahr 1984, damals wurden 134 Menschen, die in Österreich wohnten, von anderen ermordet. Am niedrigsten waren die Zahlen im Jahr 2020 (1.072 Selbstmorde) bzw. 2021 (33 Morde).
Schauen wir die Daten der Suizide genauer an, dann fällt folgendes auf:
- Von 1986 bis 2020 hat sich die Zahl fast genau halbiert.
- Seit 2020 ist sie jedoch bis 2023 wieder um 22% angestiegen, und zwar durchgehend mit steigender Tendenz.
- Der Anstieg der Suizide im Vergleich zum Vorjahr war von 2021 auf 2022 mit +16,11% genau doppelt so hoch wie der zweithöchste von 1973 auf 1974!
- Seit dem Jahr 2006 gab es nie mehr so viele Selbstmorde in Österreich wie 2023 – gleichzeitig waren es davor niemals weniger als 2023.
Das sind die Daten zu allen Morden in Österreich, die an Menschen begangen wurden, die in Österreich gemeldet waren:
- Niemals gab es mehr Morde als im Jahr 1984, als 134 Menschen von anderen getötet wurden.
- Am wenigsten waren es im Jahr 2021 – 33 sind nicht einmal ein Viertel der Morde von 1984.
- 2023 hat sich die Zahl stark erhöht – es gab um 60% mehr Morde als im Jahr 2022, das ist der höchste Anstieg von einem Jahr auf das nächste seit 1970. Nur von 1989 auf 1990 (+44%) gab es einen annähernd gleich hohen Anstieg der Zahlen.
- Trotzdem sind die 56 Morde von 2023 immer noch weit weniger als die Hälfte der Morde aus dem Jahr 1984. Nur 16 Mal gab es in den letzten 54 Jahren weniger Morde als 2023. Alle diese 16 Jahre liegen in den letzten 21 Jahren.
Männer
Blicken wir auf die Männer alleine, dann bleibt bei den Selbstmorden das Jahr 1986 vorne mit über 1.500 in einem Jahr – das sind über 4 Selbstmorde pro Tag in Österreich! 2023 waren es mit 1017 oder weniger als 3 am Tag deutlich weniger.
Bei den Morden mit dem Höchststand im Jahr 1984 (75 Morde entsprechen einem Mord alle 5 Tage) fällt vor allem das Jahr 2021 auf, wo es nur 5 Morde gab im ganzen Jahr – das entspricht einem Mord alle 73 Tage oder nur 6,66% der Morde von 1984.
Frauen
Da es in der Presseaussendung des Landes Vorarlberg jedoch um Frauen geht, schauen wir und die Zahlen dort besonders genau an: Was als erstes auffällt ist, dass sich laut Zahlen der Statistik Austria deutlich weniger Frauen das Leben nehmen als Männer. Etwa drei Mal so oft wie Frauen begehen demnach Männer Suizid.
Bei den Morden ist es so, dass es – bis 1994 – fast immer mehr Morde an Männern gab als an Frauen. Nur vier Jahre gab es in diesem Zeitraum von 24 Jahren, in denen mehr Frauen als Männer ermordet wurden. Das hat sich seither stark verändert: Seit 1994 sind es in 30 Jahren nur 8 Mal mehr Männer gewesen, die einem Mord zum Opfer fielen.
Wenn wir uns nur die Selbstmorde anschauen, dann scheint auch bei den Frauen, die sich deutlich weniger oft dazu entscheiden, ihr Leben zu beenden, irgendetwas nicht zu stimmen in den letzten Jahren: Der Anstieg von 2021 auf 2022 ist mit über 40% mehr als dreimal so hoch wie in irgendeinem Jahr davor seit 1970!
Die Morde an Frauen
Zum Schluss kommen wir zu dem Thema, um das es unter anderem in der Presseaussendung des Landes Vorarlberg geht: Die Morde an Frauen. Das sind die Fakten, wenn es um Morde an in Österreich gemeldeten Frauen geht:
Nie waren es mehr als 1983 (60), und – und das ist wichtig – nie weniger als 2014 (17). Was gleich auffällt: Die im Text des Landes erwähnten 42 in Österreich ermordeten Frauen sind 13 mehr als in den Zahlen der Statistik Austria vorkommen. Das kann nur dadurch erklärt werden, dass 13 der dort genannten ermordeten Frauen NICHT in Österreich gemeldet waren.
„So viele wie noch nie“ waren es schon gar nicht, denn selbst wenn wir die 42, die beim Land als Mordopfer genannt werden, heranziehen im Vergleich zu den Zahlen der Statistik Austria, dann gab es seit 1970 in 23 Jahren mehr ermordete Frauen als 2023. Wenn wir bei der Datenbasis bleiben, die die Statistik Austria liefert, und von 29 weiblichen Mordopfern ausgehen, dann gab es in 54 Jahren sogar 38 Mal mehr ermordeten Frauen als letztes Jahr.
Und auch die Behauptung, dass sich die Zahlen „mehr als verdoppelt“ haben seit 2014, stimmt bei den offiziellen Zahlen der Statstik Austria nicht: 29 sind 70% mehr als 17.
Fazit 1
Jeder, der sich mit Statistik beschäftigt, weiß, dass es leicht ist, einen Anstieg zu verstärken und dramatischer aussehen zu lassen, wenn dieser mit dem niedrigsten Vergleichswert in Relation gesetzt wird, der verfügbar ist.
Im Vergleich zu 2014 sind die Morde an in Österreich gemeldeten Frauen um 70% angestiegen im Jahr 2023. Genauso könnte ich jedoch auch sagen, dass die im Vergleich zu 2015 (30) gesunken sind oder im Vergleich zu 1986 um 51% zurückgegangen sind. Im Vergleich zum 5-Jahres-Schnitt sind sie definitiv etwas höher als es zu erwarten gewesen wäre (um 16%).
Ich finde es schade, dass solche Methoden benutzt werden, um ein Thema, das durchaus wichtig ist, dramatischer erscheinen zu lassen. Denn ein Vergleich mit dem absolut niedrigsten Wert aller 54 Jahre seit 1970 verzerrt das Ganze und eine Behauptung, dass „noch nie so viele Frauen ermordet“ wurden, hält nicht einmal bei einem Vergleich bis zum Jahr 2000 und schon gar nicht bei einem bis 1970 zurück.
Was mich persönlich nach dem Studium der Zahlen mehr interessiert: Warum gab es um das Jahr 1994 herum einen „Bruch“ bei den Morden – zuvor waren es fast immer mehr Männer, die Mordopfer waren, danach plötzlich fast immer mehr Frauen? Was hat sich da in unserer Gesellschaft verändert? Interessant wären jetzt Zahlen und Daten, die uns zum Beispiel gleichzeitig auch Aufschluss über das Alter der Mordopfer oder auch das Milieu geben, aus dem sie stammen. Leider wird eine solche Auskunft bei den Daten der Statistik Austria nicht erlaubt. „Verkreuzung nicht erlaubt“ steht dann dort jeweils als Grund, warum diese Abfrage nicht funktioniert.
Die Verurteilten
Weil ich versucht habe, das Rätsel rund um die Täter doch noch etwas einzugrenzen, bin ich auf die Idee gekommen, mir die Kriminalitäts-Statistik bei der Statistik Austria anzusehen und auf folgendes gestoßen aus den Jahren 2012 bis 2023:
Wenn es die VERURTEILUNGEN geht, sieht es so aus:
- Bei vollendeten Mord-Taten waren über 90% der Täter männlich.
- Fast die Hälfte aller wegen Mord Verurteilten haben KEINE österreichische Staatsbürgerschaft, wobei es bei den Männern knapp weniger als die Hälfte sind, bei den Frauen etwa ein Drittel aller Verurteilten. Am öftesten sind die Verurteilten Männer mit österreichischer Staatsbürgerschaft.
- Bei versuchtem Mord steigt sowohl der Anteil an Frauen (von 8,4% auf 12,9%) als auch der von Verurteilungen von Menschen, die keine österreichischen Staatsbürger sind (47,3% auf 54,5%). Die größte Gruppe stellen hier Männer ohne österreichische Staatsbürgerschaft.
- Bei Körperverletzungen mit tödlichem Ausgang sind nicht ganz 90% der Verurteilten männlich und „nur“ 42,10% keine österreichischen Staatsbürger.
Geht es um Körperverletzung ohne Todesfolge, dann sehe ich folgende Tatsachen:
- Es gibt 70 Mal so viele Verurteilungen wie bei den Morden und Körperverletzungen mit Todesfolge.
- 61% der wegen Körperverletzung verurteilten sind österreichische Staatsbürger.
- Weniger als 10% von allen wegen Körperverletzung Verurteilten sind weiblich (9,4%).
- Bei schweren Körperverletzungen sind es „nur mehr“ 56,9% verurteilte österreichische Staatsbürger, der Anteil an weiblichen Verurteilten ist fast derselbe.
- Bei absichtlichen schweren Körperverletzungen steigt der Anteil an nicht österreichischen Staatsbürgern sehr stark an auf 56,9% (im Vergleich zu 43,3% bei schweren Körperverletzungen) und nur etwa 6,3% aller Verurteilten sind weiblich.
Wenn es um Verurteilungen wegen Vernachlässigung unmündiger, jüngerer oder wehrloser Personen geht, sieht das Ganze plötzlich anders aus: Hier sind nur 22,2% aller Verurteilten keine österreichischen Staatsbürger. Außerdem sind hier 42,1% aller Verurteilten weiblich.
Fazit 2
Eine Verurteilungs-Statistik ist nicht die Aufzählung aller Straftaten per se. Außerdem wäre es sicher interessant zu wissen, wie die Verurteilungsquote bei den einzelnen Geschlechtern und Staatsbürgern aussieht.
Fakt ist allerdings, dass in Österreich offensichtlich viel öfter Menschen ohne österreichische Staatsbürgerschaft wegen Mordes oder Körperverletzungen verurteilt wird, als es dem Bevölkerungsanteil entspricht.
Ein weiterer Fakt: Der Anteil an weiblichen Verurteilten ist EXTREM viel niedriger als der von verurteilten Männern.
Ausnahme ist die Vernachlässigung von Unmündigen, Jüngeren und Wehrlosen – da sind erstens die Anteile an Österreichern in etwa so hoch wie es der Bevölkerung entspricht und der Frauenanteil ist zwar immer noch nicht bei 50%, aber DEUTLICH höher als bei den anderen Delikten.